Linda Stiehm, geb. Pollnow

Universitätsplatz 5

D-18055 Rostock

Tel.: +49 (0)3814988467

E-Mail: linda.stiehm@uni-rostock.de

„Zur Deutungsmacht moderner Paternalismen im aufgeklärten 'belief system' von Freiheit und Autonomie“

In der disziplinübergreifenden Forschung herrscht erstaunliche Einigkeit darüber, dass der (politische, ökonomische, soziale) Liberalismus nicht mehr aktuell sei. Wirtschafts- und Finanzmarktkrisen, ein Strukturwandel demokratischer Politik und die sozialwissenschaftlich-empirisch gestützte Annahme eines sich oft fehlerhaft entscheidenden Menschen werden als Symptome einer Krise der liberalen Gesellschaftsordnung verstanden, als Übergang zu einem „postliberalen“ Verständnis westlicher Gesellschaften. In der Negierung des mündigen Menschen, aus dem sich auch als veraltet geltende Modelle wie der homo oeconomicus abgeleitet haben, liegt schließlich der Grund für die Entwicklung und Etablierung nicht-liberaler, teilweise neuartiger Werkzeuge zur Menschenführung. Der Paternalismus im Generellen und speziell der libertäre Paternalismus sind entsprechende Werkzeuge. Die Betrachtung des Paternalismus durch die „Analysebrille“ der Deutungsmacht wird dabei behilflich sein, Machtphänomene der einzelnen Paternalismen in spezifischen sozialen Situationen aufzudecken und rückwirkend auch die Machtanteile von Deutungen offenbaren, denn paternalistische Maßnahmen fungieren als Medium für bestimmte Deutungen.

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Starker Paternalismus, der die Ziele des Paternalisierten ignoriert, ersetzt diese Ziele durch eigene. Da Paternalismen in wohlwollender Weise angewendet werden, wird das neue Ziel vom Paternalisierenden als besser befunden worden sein: Besser im Hinblick auf ein gelungenes Leben. Wie sich ein solches gelungenes (gutes) Leben ausgestaltet, wird dabei ebenfalls vom Paternalisierenden festgelegt, der diese seine Deutung durch eine paternalistische Maßnahme zum Paternalisierten transportiert. Dies kann in physisch-zwingender aber auch autonomiewahrender Weise geschehen. Je nachdem hat die transportierte Deutung auf unterschiedliche Weise Macht entfaltet. Mit der „Deutungsmacht“ kann erstmals diese wenig benannte Verbindung der Deutung eines gelungenen Lebens mit der Möglichkeit, diese durch eine paternalistische Maßnahme zu transportieren und durchzusetzen, aufgedeckt werden. Folglich wird sich auch zeigen lassen können, wie sich die Deutung eines gelungenen Lebens vom Paternalisierenden auf die Paternalisierten überträgt. Solche Diagnosen beziehen sich auf das Überzeugungssystem (belief system) der Aufklärung und seine freiheitlichen Aspekte. Es soll den Fragen nachgegangen werden, wie Deutungsmacht zunächst eine Verschiebung des aufgeklärten belief systems bewirken kann und wie neue Deutungsmuster von Paternalisierten anerkannt und aufgenommen werden. Dabei soll auch geklärt werden, wie dehnbar ein Überzeugungssystem sein kann, ob sich also tatsächlich ein neues, postliberales belief system etabliert oder ob das skizzierte Geschehen nach wie vor im aufgeklärten belief system stattfindet.

Werdegang

04/17 - aktuell: Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Graduiertenkolleg Deutungsmacht an der Universität Rostock

10/16 - aktuell: Doktorandin im DFG-Graduiertenkolleg "Deutungsmacht. Religion und belief systems in Deutungsmachtkonflikten", Betreuung: Prof. Dr. Heiner Hastedt, Prof. Dr. Gesche Linde; Universität Rostock

2014 - 2016: Studium (Master) der Philosophie des Sozialen;  Masterarbeit zum Thema: „Libertärer Paternalismus? Ethische, anthropologische und politische Probleme des Nudging“

2009 - 2014: Studium (Bachelor) der Philosophie, Geschichte und des Öffentlichen Rechts; Bachelorarbeit zum Thema: : „Gut und Böse als regulative Idee“