Nachfolgeantrag

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Deutungsmachtkonflikte sind gegenwärtig vor allem im Kontext medial vermittelter religiöser Konflikte mit fundamentalistischen Bezügen präsent sowie in den Auseinandersetzungen um das belief system Demokratie im Kontext von Populismus, fake news oder der Macht der Algorithmen. Das Graduiertenkolleg hat die seit dem Erstantrag noch brisanter gewordenen Herausforderungen im Blick und fragt, wie sich Deutungsmachtformationen generieren und ihre Geltungsansprüche kommunizieren. Neben der vertieften Bearbeitung der aus der ersten Förderperiode virulent bleibenden Definitions- und Abgrenzungsfragen (z.B. im Verhältnis zur Kommunikationsmacht) soll in der zweiten Förderperiode die Deutungsmachtperspektive im Sinne eines komplexen Analyseinstrumentariums weiterentwickelt werden. Es wird unter-sucht, wie sich die phänomenologischen, semiotischen, hermeneutischen und performativen Implikationen von Deutungsmacht einerseits und die akteursbezogenen, institutionellen, relationalen und modalen Facetten von Deutungsmacht andererseits in Bezug auf Religion und belief systems zueinander ins Verhältnis setzen lassen. Deutungsmachtanalyse beginnt bei den konfliktiven Konstellationen, in denen Deutungs-machtansprüche offen konkurrieren. Deutungsmachtkonflikte können im Ausnahmefall, der erst ex post zu konstatieren ist, im Sinne modaler Macht symbolische Ordnungsgefüge und die Grenzen des Möglichen/Unmöglichen in der Wirklichkeitskonstitution in Frage stellen, verschieben und neujustieren (wie z.B. in der Reformation geschehen). Um die Grenzen der Produktivität von Deutungsmacht auszuloten, ist die Analyse solcher Konstellationen von exemplarischem Interesse. Es sind jedoch auch die unsichtbaren, latenten Formen von Deutungsmacht zu reflektieren, die in selbstverständlich geltenden Sinnstrukturen anerkannt und wirksam werden. Diese Formen wirken gerade in Religion und belief systems unterschwellig und erweisen sich darin als besonders mächtig. Über die deskriptive Aufklärung latenter Deutungsmacht und offener Deutungsmachtkonflikte hinaus sollen in der zweiten Förderperiode die normativen Aspekte der Deutungsmachtkritik und der Konfliktvermittlung intensiver in den Blick genommen werden.


Einrichtungsantrag

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Antragtext

Jeder hätte sie gern, viele kämpfen darum, manche haben sie, aber bisher ist weitgehend ungeklärt, was das ist: Deutungsmacht. Dieses operativ gängige Konzept soll begrifflich und methodisch ausgearbeitet und in Fallstudien material bearbeitet werden. Wie entsteht, ‚funktioniert‘ und vergeht Deutungsmacht, exemplarisch im Kontext von Religion und belief systems? Anhand signifikanter Deutungsmachtkonstellationen und -konflikte soll Deutungsmacht in Genese und Geltung sowie in Geschichte und Gegenwart untersucht werden, um zu klären: Was für eine Form oder Dimension von Macht ist Deutungsmacht? Was für Macht haben oder entwickeln Deutungen (von Religionen bzw. ihren Vertretern, Institutionen, Amtsinhabern oder ‚Charismatikern‘, Diskursen oder Dispositiven etc.)? Wann und warum werden sie anerkannt oder nicht mehr? Deutungsmacht ist im Normalfall bereits anerkannt und gilt fraglos, indem ihr gefolgt wird (z.B. Jesus, Schrift, Grundrechte). Wie sie entstand und warum ihr gefolgt wird, bleibt entweder unthematisch (latent) oder wird u.a. in Narrationen wie Mythen oder biblischen Texten explizit. Um das zu verstehen, ist der liminale Ausnahmefall der Genese einer Deutungsmacht(-ordnung) retrospektiv zu untersuchen. Der Normalfall wird in beschleunigten und pluralisierten Gesellschaften problematisch (Krise der Kirchen, des Schriftprinzips, der Sittlichkeit etc.). Der Konfliktfall wird manifest in Deutungsmachtkonflikten (wie Regel- oder Ordnungskonflikten): Der Anspruch einer Deutung auf Anerkennung und Geltung wird explizit und begründungsbedürftig im Streit verschiedener Deutungen um Macht. In den exemplarischen Projekten sollen daher Interferenzen von Semantik (der Deutungen) und Struktur analysiert werden (Ordnungen, Dispositive). Die gesellschaftliche Relevanz des Projektes besteht in der Differenzierung des Verstehens kultureller Deutungsmachtkonflikte, das der Verständigung und Bearbeitung derselben förderlich werden kann. Diese hermeneutische Kompetenz muss auch kritisch sein, um die Grenzen von Deutungsmacht/-ansprüchen (wie auch des Konzepts Deutungsmacht) bestimmen zu können.