Postcolonial Theology After the Shoah? An Analysis of conceptions of victims and perpetrators
Wie kann eine Kontextualisierung bzw. Provinzialisierung (Dipesh Chakrabarty) des Theologietreibens in Deutschland aussehen, wie sie nach den Befreiungstheologien heute auch von postkolonialen Ansätzen eingefordert wird? Deutschsprachige Post-Shoah-Theologien versuchen bezogen auf einen, allerdings zentralen Aspekt der deutschen Zeitgeschichte eine Antwort zu geben. Sie rücken die Nachwirkungen der Shoah in der heutigen Gesellschaft, Theologie und Kirche ins Zentrum ihrer Analysen. Katharina Kellenbach, Björn Krondorfer und Norbert Reck plädieren in wertschätzend-kritischer Abgrenzung von den früheren Theologien nach Auschwitz dafür, sich der Verstrickung in die Täter_innengeschichten zuzuwenden, um kritisch mit Phänomenen wie Opferidentifikation, Opferkonkurrenzen und Täter-Opfer-Umkehr umgehen zu lernen. Auch die Antisemitismusforschung (Klaus Holz, Monika Schwarz-Friesel u.a.) und die für Zeitgeschichte sensible Pädagogik (Astrid Messerschmidt) bestimmen Phänomene der Täter-Opfer-Umkehr als zentral für gegenwärtig auftretende Formen von Antisemitismus. Diese sind allerdings nicht auf Deutschland begrenzt. Ohne die Bedeutung Deutschlands für die Vernichtung jüdischen Lebens relativieren zu wollen, gilt es aufmerksam zu werden für die inter- und transnationalen Bewegungen des Antijudaismus bzw. christlichen Antisemitismus, die durch die koloniale Verbreitung des Christentums vollzogen wurden.
Ich möchte in meinem Promotionsprojekt untersuchen, welche deutungsmächtigen Konzeptionen von Täter_innen und Opfern in postkolonialen Theologien allgemein und speziell im Blick auf Israel/Palästina getätigt werden. Dazu unterscheide ich zwischen postkolonialen Theologien im weiten und im engeren Sinn. Als postkoloniale Theologien im engeren Sinn bezeichne ich diejenigen Theologien, die sich explizit auf die Theoriekonzepte beziehen, die sich entsprechend ihrem Selbstverständnis post- oder dekolonial nennen, und diese für ihre Theologie fruchtbar machen. Unter postkolonialen Theologien im weiten Sinn verstehe ich diejenigen Theologien, die sich seit den 1960er Jahren weltweit in verschiedenen Befreiungsbewegungen kritisch gegen hegemoniale oder universalisierende Ansprüche westlicher Theologie richteten und dies mit Verweis auf die koloniale Eroberungsgeschichte des Christentums taten.
Was könnten Kriterien für eine durch Post-Shoah-Theologien informierte postkoloniale Theologie sein, um nicht oben angedeutete Fallen zu reproduzieren bzw. Kolonialismus und Antisemitismus gegeneinander auszuspielen? Dazu sollen Konzepte der postkolonialen Theorien wie Differenz, Ambivalenz, Hybridität auf die Möglichkeit zur Konzeptualisierung komplexer Täter-Opfer-Relationen und auf ihre Anwendbarkeit für einen kritischen Umgang mit gegenwärtigen Formen des Antisemitismus hin befragt werden. Ziel wäre der Vorschlag zu einer selbstkritischen postkolonialen Theologie im Angesicht der Tradition der christlichen Judenfeindschaft und der untrennbaren historischen Verwicklung in den kolonialen Imperialismus, die fähig ist, eigene Täter_innenanteile zu akzeptieren und, wo nötig, zu verändern.
Forschungsinteressen
- postkoloniale (feministische) Theorien und Theologien
- kritische Weißseinsstudien
- christlicher Antisemitismus bzw. Antijudaismus
- Befreiungstheologien
- Interkulturelle Theologie
- Intersektionalitäts- bzw. Interdependenzforschung
Werdegang
[Translate to English:] Seit 04/2014 | Promotion im Fach Interkulturelle Theologie |
10/2013 | Kirchliches Examen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Nachdiplomierung durch die Humboldt-Universität zu Berlin |
2005–13 | Studium der Evangelischen Theologie in Marburg, Buenos Aires, Hamburg, Berlin |
Anstellungen
[Translate to English:] Seit 04/2014 | Kollegiatin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Graduiertenkolleg „Deutungsmacht. Religion und belief systems in Deutungsmachtkonflikten“ |
2008–09 | Tutorin für Theologische Sozialethik am Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg |
2006–08 | Frauenbeauftragte am Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg |
Publikationen
Jarosch, Sabine, Vielfalt, Differenz und Herrschaftsverhältnisse in kulturwissenschaftlicher und postkolonial-theologischer Perspektive, in: Jäger, Sarah/Jost, Renate (Hg.), Vielfalt und Differenz. Intersektionale Perspektiven auf Religion und Feminismus (Internationale Forschungen in Feministischer Theologie und Religion. Befreiende Perspektiven), Münster 2017 (im Erscheinen).
Jarosch, Sabine, Radikale Pluralität vs. universalistische Großtheorie – Debatten in der Befreiungstheologie heute, in: Stoellger, Philipp/Kumlehn, Martina (Hg.), Wortmacht – Machtwort, Würzburg 2017 (im Erscheinen).
Jarosch, Sabine, Koloniale Wunden. Eine Herausforderung für Theologie und Kirche in Deutschland, in: Reformation und die Eine Welt. Das Magazin zum Themenjahr 2016 (2015), 46f. Online einsehbar unter: http://www.reformation-und-die-eine-welt.de/nc/das-magazin/online-lesen/#page/46.
Jarosch, Sabine, The Marginal God. Potentiale und Grenzen des postkolonialen Gottesbildes der Theologin Marcella Althaus-Reid, in: epd-Dokumentation 42 (2014), 32–59.
Vorträge/Workshops
22.–24.09.16 Jarosch, Sabine/Mackenthun, Gesa/Otto, Danny: Organisation des Symposiums "Hermeneutic conflict, cultural entanglement, and social inequality. Power of interpretation in intersectional perspective", Universität Rostock, Tagungsbericht: www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7007
17.06.16 Jarosch, Sabine: Postkoloniale Theologie nach der Shoah? Eine Analyse von Täter- und Opfer-Vorstellungen, Vortrag auf der Tagung „Postkoloniale Theologien: Deutsche Perspektiven. Chancen und Herausforderungen einer deutschsprachigen postkolonialen Theologie“, Universität Erlangen
05.07.14 Jarosch, Sabine: „Koloniale Wunde“ und Transzendenz. Körper als Thema postkolonialer Theologien, Workshop auf der 7. Feministisch-theologischen Sommerakademie, Evangelische Akademie zu Berlin
22.01.14 Jarosch, Sabine: Postkoloniale Gottesbilder bei Marcella Althaus-Reid, Workshop auf dem 24. Feministischen Studientag, Philipps-Universität Marburg
13.10.12 Jarosch, Sabine: (Wozu) brauchen wir heute Feministische Theologie? Über die Relevanz der feministisch-theologischen Impulse von Dorothee Sölle für gegenwärtige Theologie, Kirche und Gesellschaft, Podiumsteilnehmerin auf dem Tagesseminar der Evangelischen Akademie und des Frauenwerks der Nordkirche, Hamburg
22.09.10 Jarosch, Sabine: Die lateinamerikanische Befreiungstheologie am Beispiel der Frauenarbeit der Ökumenischen Menschenrechtsbewegung (MEDH) in Argentinien, Vortrag auf der Befreiungstheologischen Sommerschule, Münster
Auszeichnungen
2014
Auszeichnung der Abschlussarbeit „The Marginal God. Potentiale und Grenzen des postkolonialen Gottesbildes der Theologin Marcella Althaus-Reid“ durch den Hanna-Jursch-Nachwuchspreis der Evangelischen Kirche in Deutschland
2012
Auszeichnung der Kirchengeschichtlichen Hauptseminararbeit „Der ‚Judenmissionar‘ Johannes F. A. de le Roi und sein Verhältnis zum Antisemitismus im deutschen Kaiserreich des 19. Jahrhunderts“ durch
- den Helmut-Thielicke-Preis 2012 des Vereins „Theologie am Tor zur Welt e.V.“, Hamburg
- den Hochschulpreis des Evangelischen Bundes Hessen und Nassau 2012
07/2007–10/2013
Stipendium durch das Ev. Studienwerk e.V. Villigst